(2013) 21 x 30 cm, 112 Seiten mit 136 SW- und Farbabbildungen, Preis 29.00 Euro, ISBN 978-3-447-10064-9 online bestellen
Odysseus wurde nur mit Hilfe der zauberkundigen Göttin Kirke nicht zum Opfer der Sirenen: Am Mast
festgebunden fuhr er, dank der schnellen Ruderschläge seiner Gefährten, an ihrer Insel vorbei und
hörte nur die Ankündigung ihres Lieds, das ihm schmeichelte und vom Trojanischen Krieg erzählen
wollte. Obgleich er selbst vor Troja gekämpft hatte, war er so fasziniert, dass er sich losreißen
wollte, um mehr zu hören. Realer Hintergrund des Mythos waren gefährliche Seewege ins Schwarze
Meer und nach Süditalien. Nach diesem Vorbild entstand im 19. Jahrhundert die Sage von der Loreley.
Wie die Sirenen aussahen, schreibt der Odyssee-Dichter nicht. In der griechischen Kunst sind
Sirenen Vogelwesen mit menschlichen Köpfen und Vogelkörpern oder Frauen mit Vogelfüßen und -flügeln.
Im Mythos waren sie einst junge Mädchen, die nicht verhindern konnten, dass Persephone vom
Unterweltgott Hades geraubt wurde. Deren Mutter, die Getreidegöttin Demeter verfluchte sie
deswegen, solange auf ihrer Insel Seefahrer in den Tod zu locken, bis ihr Anschlag missglückt.
Nach dem Entkommen des Odysseus ist ihr Aufenthaltsort die Unterwelt und sie werden hilfreiche
Dämoninnen auf dem Weg ins Jenseits und bei der Totenklage, wie Grabdenkmäler verraten. Der
Kontrast von menschlichen und tierischen Körperteilen forderte über Jahrhunderte Kunsthandwerker
und Künstler heraus: Formales Vorbild des menschenköpfigen Vogels waren Flügelwesen aus Ägypten
und Mesopotamien. Im Lauf der Jahrhunderte werden sie zu nackten und bekleideten Vogelfrauen,
bei den Etruskern und in der Neuzeit begegnen sie als bekleidete und nackte Frauen oder sie
bekommen Fischschwänze und werden Meerjungfrauen – das Spiel mit den Formen hält bis heute an,
bereichert durch die Alarmsirenen mit rotierenden Schallköpfen. Der in der Antike dämonisch-göttliche
Charakter wird in der Neuzeit zur erotisch-weiblichen Bedrohung, zur Femme fatale, zum Sinnbild
von Verführung und leidenschaftlicher Liebe, zum Gegenbild der bürgerlichen Ehefrau.