(2003) 586 S. 3 Karten, 70 Abbildungen, 8°, geb. ISBN 978-3-447-05964-0 € 45.90, online bestellen
Die vorliegende, das neuzeitliche Griechenland betreffende Arbeit Emanuel Turczynskis ist das
Ergebnis einer lebenslangen Zuwendung zur griechischen Welt, die er auch als geistige Herausforderung
empfand. So entstand dieses sein Alterswerk, an dem er zehn Jahre gearbeitet hat und das er in voller
geistiger Rüstigkeit mit zweiundachtzig Jahren abschließen konnte. Das Glück wurde ihm beschieden, sein
Leben am Schreibtisch vor fertiggestelltem Manuskript zu vollenden. Für ihn war der Weg das Ziel, und
diesen Weg ist er forschenden Geistes gegangen.
Der Autor hat ein Kompendium der kritischen Griechenlandkunde verfasst, das die mentale und emotionale
Befindlichkeit des einzelnen Menschen, aber auch der gesellschaftlichen Gruppierungen zur Zeit der
griechischen Palingenese und danach zu erschließen versucht. Turczynski stellt ein epochales Fresco
vor uns auf, ein weitgespanntes Bild, zu dem eine Unzahl von Zeitzeugnissen, aber auch spätere kritische
Stellungnahmen (sowohl von Griechen als auch von Ausländern) beitragen. Der Text baut sich durch die
Aneinanderreihung und Gegenüberstellung dieser Zeugnisse auf, der Autor tritt relativ wenig mit eigenen
Behauptungen hervor; er liefert dem Leser das Material und vertraut dessen kritischer Urteilskraft.
Hinter diesem locker strukturierten opus magnum, dessen Hauptmerkmal nicht so sehr die systematische
Darstellung, sondern vielmehr die mühevolle und gewissenhafte Dokumentation ist, zeichnen sich die
Beweggründe und Aporien des Autors, die die Wahl seines Themas erklären, deutlich ab.
Eine Grundthese zieht sich, wie ein roter Faden, durch das ganze Werk hindurch: Für Turczynski war die
nationale Neugeburt Griechenlands - nach seiner Formulierung die „griechische Ethnogenese“ - nicht mit
dem Ende des geglückten nationalen Unabhängigkeitskrieges abgeschlossen. Der gemeinsame orthodoxe Glaube,
die lebendige Sprache, die unter schwierigsten historischen Gegebenheiten ihre Identität und
Assimilationskraft hatte aufrecht erhalten können, ja die seit dem Altertum wenig veränderten
Charakterzüge - Tugenden und Fehler - der Griechen, sind für den Autor nicht so entscheidend als
Vorbedingungen zur Nationswerdung wie der gesellschaftliche Konsens und die daraus abgeleitete Fähigkeit
zum Aufbau eines von allen mitgetragenen Gemeinwesens. Und dieser Prozess der sozialkulturellen
Konsolidierung - dies die These Turczynskis - dauert in Griechenland bis zum heutigen Tage an.