Peleus

Studien zur Archäologie und Geschichte Griechenlands und Zypern
Herausgegeben von Reinhard Stupperich und Heinz A. Richter

Band 16

Emanuel Turczynski, Sozial- und Kulturgeschichte Griechenlands im 19. Jahrhundert. Von der Hinwendung zu Europa bis zu den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit

(2003) 586 S. 3 Karten, 70 Abbildungen, 8°, geb. ISBN 978-3-447-05964-0 € 45.90, online bestellen

Die vorliegende, das neuzeitliche Griechenland betreffende Arbeit Emanuel Turczynskis ist das Ergebnis einer lebenslangen Zuwendung zur griechischen Welt, die er auch als geistige Herausforderung empfand. So entstand dieses sein Alterswerk, an dem er zehn Jahre gearbeitet hat und das er in voller geistiger Rüstigkeit mit zweiundachtzig Jahren abschließen konnte. Das Glück wurde ihm beschieden, sein Leben am Schreibtisch vor fertiggestelltem Manuskript zu vollenden. Für ihn war der Weg das Ziel, und diesen Weg ist er forschenden Geistes gegangen.
Der Autor hat ein Kompendium der kritischen Griechenlandkunde verfasst, das die mentale und emotionale Befindlichkeit des einzelnen Menschen, aber auch der gesellschaftlichen Gruppierungen zur Zeit der griechischen Palingenese und danach zu erschließen versucht. Turczynski stellt ein epochales Fresco vor uns auf, ein weitgespanntes Bild, zu dem eine Unzahl von Zeitzeugnissen, aber auch spätere kritische Stellungnahmen (sowohl von Griechen als auch von Ausländern) beitragen. Der Text baut sich durch die Aneinanderreihung und Gegenüberstellung dieser Zeugnisse auf, der Autor tritt relativ wenig mit eigenen Behauptungen hervor; er liefert dem Leser das Material und vertraut dessen kritischer Urteilskraft. Hinter diesem locker strukturierten opus magnum, dessen Hauptmerkmal nicht so sehr die systematische Darstellung, sondern vielmehr die mühevolle und gewissenhafte Dokumentation ist, zeichnen sich die Beweggründe und Aporien des Autors, die die Wahl seines Themas erklären, deutlich ab.
Eine Grundthese zieht sich, wie ein roter Faden, durch das ganze Werk hindurch: Für Turczynski war die nationale Neugeburt Griechenlands - nach seiner Formulierung die „griechische Ethnogenese“ - nicht mit dem Ende des geglückten nationalen Unabhängigkeitskrieges abgeschlossen. Der gemeinsame orthodoxe Glaube, die lebendige Sprache, die unter schwierigsten historischen Gegebenheiten ihre Identität und Assimilationskraft hatte aufrecht erhalten können, ja die seit dem Altertum wenig veränderten Charakterzüge - Tugenden und Fehler - der Griechen, sind für den Autor nicht so entscheidend als Vorbedingungen zur Nationswerdung wie der gesellschaftliche Konsens und die daraus abgeleitete Fähigkeit zum Aufbau eines von allen mitgetragenen Gemeinwesens. Und dieser Prozess der sozialkulturellen Konsolidierung - dies die These Turczynskis - dauert in Griechenland bis zum heutigen Tage an.