(2008) 280 S. über 70 Abb. 8°, geb., ISBN 978-3-447-05968-8, € 49,00, online bestellen
Die Gründungsgeschichte der neuen Stadt Athen im 19. Jh. war im Laufe der letzten dreißig Jahre Gegenstand des erneuten Interesses
der stadtbaugeschichtlichen Forschung. Staufferts Aufsatz "Die Anlage von Athen und der jetzige Zustand der Baukunst in Griechenland"
von 1844, in diesem Zusammenhang einer der wesentlichen Quellentexte, wird in der vorliegenden Arbeit zum ersten Mal wiederveröffentlicht
und ausführlich kommentiert.
Friedrich Stauffert ist durch seine zehnjährige Tätigkeit (1833-1843) in griechischen Diensten bekannt, über seine Herkunft und seine
Ausbildung vor seiner Ankunft in Griechenland wissen wir dagegen nichts Näheres. In den Regierungsakten in Athen wird er als "Geometer"
bezeichnet, er selbst nannte sich "Stadtarchitekt", was in Hinsicht auf seine Funktion stimmt. Seit 1835 hatte er für insgesamt acht
Jahre das Amt des "Stadtarchitekten" in Athen inne. Nach einem tatkräftigen Einsatz zur Ausführung der Stadtplanung von Sparta 1834
wurde er trotz fehlender akademischer Ausbildung praktisch als Architekt mit den Aufgaben eines Stadtbaurates für die Hauptstadt
betraut. Stauffert selbst gibt beredtes Zeugnis von seinen beschwerlichen und komplizierten Bemühungen (1835-1843) für die Einhaltung
der vorgesehenen Baulinien, den Schutz des Umfeldes der in der Altstadt zerstreuten Altertümer, die Absteckung der geplanten neuen
Plätze usw. und kritisiert die Willkürlichkeit der staatlichen Eingriffe als auch die Korruptheit des Gemeinderates sowie den mangelnden
Bürgersinn der Einwohner. Immerhin erarbeitete er die erste genaue Bestandsaufnahme der neuen Stadt Athen von 1836, ein Dokument von
hoher zeichnerischer Qualität und praktischem Nutzen. Daneben kam er auch zur Planung und Ausführung zweier wichtiger Kommunalbauten
Athens, des Civil-Hospitals und der ersten Grundschule Athens. Stauffert muß während seiner Griechenlandjahre das Land auch aus eigener
Initiative bereist haben. Mehrere Bemerkungen über Provinzstädte und antike Orte sowie sein Beitrag über "die mittelalterlichen Kirchen
byzantinischen Stils in Griechenland" zeigen, daß er – wie übrigens die meisten ins Land übersiedelten Deutschen zu jener Zeit – ein
allgemeines Interesse für das Land entwickelt hatte. Als nach der unblutigen Revolution von 1843 alle Ausländer aus dem öffentlichen
Dienst suspendiert wurden, kam Stauffert nach Wien, wo er für mehrere Jahre Redakteur der angesehenen Fachzeitschrift "Allgemeine
Bauzeitung" war. Schon im nächsten Jahre 1844 veröffentlicht er in diesem Blatt in fünf Folgen seinen Bericht über "Die Anlage von
Athen und der jetzige Zustand der Baukunst in Griechenland", später folgten noch andere Beiträge über Griechenland. Über die weitere
Tätigkeit Staufferts konnten keine konkreten Hinweise gewonnen werden; um 1860 soll er in der Umgebung Wiens gestorben sei.
Staufferts Bericht ist der erste und einzigartige Versuch einer Gesamtschau der städtebaulichen Entwicklung im neuentstandenen
Griechenlands. Er versucht, eine Bilanz der eigenen Erfahrungen in der Ausübung eines öffentlichen Bauamtes zu ziehen und auch
allgemeine Informationen sowohl über die neuzeitlichen wie auch über die antiken Städte Griechenlands einem interessierten breiteren
Publikum in Zentraleuropa zu bieten. Die Einmaligkeit des Textes liegt darin, daß kein anderer spezifischer Bericht über das Bauen im
neuen Griechenland im Laufe des 19. Jh. überhaupt erschienen ist. Zwar sind am Ende des Jahrhunderts umfangreiche Gesamtdarstellungen
der institutionellen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung Griechenlands veröffentlicht worden, in keinem dieser Werke wurde jedoch
dem Wohnungsbau und der Stadtplanung ein besonderes Kapitel gewidmet. Die "Bemerkungen" nehmen je nach behandeltem Gegenstand einen
unterschiedlichen Charakter an, sind aber immer von besonderem dokumentarischen Wert: Der erste Abschnitt, eine höchst eigenwillige
Beurteilung der Athener Stadtplanung sowie Einsicht in die verworrenen Hintergründe ihrer Ausführung, hat den Charakter eines
persönlichen Bekenntnisses und bietet zur gleichen Zeit ein seltenes Zeitdokument über die fragwürdigen Planungsvorgänge aus der
Feder eines direkt Beteiligten. Es folgt eine einmalige Schilderung der technischen Baugepflogenheiten bei der Ausführung der Athener
Bürgerhäuser im Laufe des ersten Jahrzehnts der Regierungszeit König Ottos, die uns die bautechnische Beschreibung des neu eingeführten
klassizistischen Häuserbaus in Griechenland zutreffend und präzise liefert. Dann entwirft der Autor eine Beschreibung des damaligen
Territoriums Griechenlands in Form einer Periegese durch die wichtigsten bewohnten Orte und antiken Ruinenstätten führt, teils nach
eigener Besichtigung, teils durch eine Übernahme von Informationen antiker oder neuzeitlicher Schriftsteller. Es folgt eine lebhafte
und farbenreiche Beschreibung der wichtigsten Straßenverbindungen und Brücken des Landes. Abschließend wird ein Bild der architektonische
n Einrichtungen im Lande entworfen, der Ausbildung für Baufachleute, Organisation des Bauwesens und Denkmalpflege. Sachlichkeit,
Nüchternheit und Offenheit sind die Hauptmerkmale des Berichts. Was zu sagen ist, wird direkt und unmißverständlich geäußert, Kritik,
Bemängelungen und Vorwürfe werden offen ausgetragen; Andeutungen, Mutmaßungen und Perfidien sind nicht die Sache Staufferts. Dies nimmt
den Leser positiv für den informationsreichen Text ein.
Eine öffentliche Bilanz der Tätigkeit Staufferts als Fachmann und Staatsbeamter sollte durch eine didaktische Übermittlung von
Grundkenntnissen über das Bauen und die Städte im neuen Griechenland ergänzt werden, aber auch durch eine kritische Beurteilung der
sozialen und kulturellen Realität im neuen Griechenland. In Athen bemüht sich Stauffert um die Unbebaubarkeit der Umgebung der
wichtigsten antiken Monumente der Stadt, stellt ein Verzeichnis der "usurpierten" Bauplätze auf, projektiert die erste Stadterweiterung, d.h. die Vorstadt Neapolis und schlägt die Anlage von neuen Plätzen in der Altstadt vor– doch seine Pläne verschwinden in den Mühlrädern der Bürokratie.
Nach mehr als 160 Jahren ist eine Neuedition des Aufsatzes von Stauffert fällig, der als informationsreiche Primärquelle unser
Griechenlandbild bereichert, aber nur spezialisierten Athenforschern bekannt ist. Durch eine ausführliche Kommentierung soll der
Versuch unternommen werden, ein genaueres Bild des damaligen Griechenland zu erschließen. Die kommentierte Neuauflage konnte auch
mit einer beträchtlichen Zahl von Abbildungen bereichert werden, die nicht in der Erstpublikation enthalten sind. Bei der Auswahl
der Abbildungen sind Zeichnungen von Griechenland-Reisenden aus der Entstehungszeit des Berichtes, sowie die Pläne der neuen Städte
herangezogen worden.